SPD-Ortsverein Gerlingen
Seifertstraße 10
70839 Gerlingen
Telefon: (07156) 200 11 949
Hans-Peter Niechziol (V.i.S.d.P.)
Barbara Günther
Ingmar Goß
Ralf Höschele (Layout)
Ralf Höschele, ralf@ralf-hoeschele.de
Gedruckte Exemplare können beim SPD-Ortsverein Gerlingen (Adresse: siehe oben) bestellt werden.
Frühjahr 2002
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Diese bekannte Vokabel lässt sich trefflich einsetzen, wenn auf eine lange geistige Tradition zurückgeblickt werden kann. Von insgesamt 139 Jahren sozialdemokratischer Geschichte, die fest verwoben ist mit der politischen Entwicklung Deutschlands, haben Gerlinger Genossen beachtliche 110 Jahre durch Höhen und Tiefen begleitet. Bei den Recherchen unserer kleinen "historischen Kommission", welche diese Festschrift in vielen Stunden erarbeitete, kam Stolz auf. Stolz im positivsten und keineswegs überheblichen Sinne. Zielstrebigkeit, Aufopferung, Mut, Entschlossenheit, Solidarität und aufrichtiger Kämpfergeist liest sich aus manchen Lebensläufen unserer Vorfahren. Über diese Grundtugenden lächelt oder spottet nur derjenige, der sich niemals fragte "Wofür lebe ich? Welchen Beitrag kann und will ich für die Gemeinschaft leisten? Wie lässt sich unser politisches Gemeinwesen verändern, um mehrheitlich besser leben zu können?"
Sozialdemokraten suchten und fanden in ihrer unübertroffen langen Parteigeschichte nach Antworten - in der Gemeinschaft mit Gleichgesinnten, um stärker zu sein, in fester Verwurzelung mit geistigen Grundwerten,um die Richtung zu kennen oder in schlimmen Zeiten zumindest das Licht am Ende eines dunklen Tunnels zu sehen. Es ist wirklich beachtlich, was unsere geistig-politischen Väter und Mütter erdacht und wofür sie gekämpft haben: Solidarität, gleiche Rechte für jedermann (und jede Frau!), Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie und Frieden. Diese Ziele sind auch heute noch aktuell.
Wir Sozialdemokraten wollen parteiisch sein, wiederum im positiven Sinne. In der Besinnung auf unsere historischen Ziele und Errungenschaften wollen wir den Mitbürgern ein programmatisches Maßband in die Hand geben, womit die politisch Handelnden der SPD wie auch die der anderen Parteien beurteilt werden können. Das Messen politischer Größe ist in der Kommunalpolitik ebenso wichtig. Auch das örtliche politische Geschehen darf nicht beliebig und ziellos sein.
Dem Frieden, der Demokratie und der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet stimmten Sozialdemokraten gegen das Ermächtigungsgesetz (1933), rangen um eine soziale Marktwirtschaft und versöhnten sich mit den östlichen Nachbarn. Allerdings waren die Zeitabschnitte politischer Machtausübung - zumindest Teilhabe an der Macht - bislang nur kurz. Politik auf dem Boden einer festen programmatischen Ausrichtung wird aber bleiben, das ist der aus unserer Herkunft abgeleitete Auftrag für die nächsten Jahrzehnte, in denen sicher nicht weniger, sondern eher mehr Orientierung erforderlich sein wird - auch in der Kommunalpolitik. Die auch in dieser Festschrift lebendig gemachten Taten und Tugenden unserer politischen Vorbilder werden uns Kraft und Motivation geben.
Hans-Peter Niechziol
Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Gerlingen
Grußwort zum 110-jährigen Bestehen des SPD-Ortsvereins Gerlingen
von Bundeskanzler Gerhard Schröder, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
im November 2001
Dem SPD-Ortsverein Gerlingen gratuliere ich herzlich zu seinem 110-jährigen Bestehen. Dieses Jubiläum ist nicht nur Anlass zum Feiern, sondern auch die Gelegenheit, einen Blick zurück auf die historischen Leistungen der deutschen Sozialdemokratie zu richten. Es war die SPD, die die Werte der europäischen Aufklärung in Deutschland durchgesetzt hat. Soziale Sicherheit und Demokratie sind nicht zuletzt von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten erkämpft worden. Und gerade in der heutigen Zeit wird die Sozialdemokratie mehr denn je gebraucht, um unser soziales System sicher und die Demokratie stabil zu halten. Für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität haben Sozialdemokraten große Opfer gebracht, viele haben sogar ihr Leben für unsere gemeinsamen Ziele gegeben. Wir sind aufgerufen, das Gedenken an diese Parteimitglieder in Ehren zu halten.
Die SPD ist Mitgliederpartei, und sie bleibt Mitgliederpartei. Sie lebt von den über 700.000 Frauen und Männern, die sich in Ortsvereinen und Stadtverbänden engagieren und so eine unverzichtbare Vertrauensarbeit leisten. Diese ehrenamtliche Arbeit bildet die Grundlage für politische Mehrheiten in den Kommunen, in den Ländern und auf Bundesebene. Ich danke den Mitgliedern der SPD Gerlingen für ihr politisches Engagement. Wir leben in einer Zeit, in der sich die Welt schnell wandelt. Dieser ökonomische, technologische und gesellschaftliche Wandel stellt uns vor völlig neue Herausforderungen, die bisweilen mit schmerzhaften wirtschaftlichen und sozialen Begleiterscheinungen verbunden sind. Die Menschen werden die Sozialdemokratie daran messen, ob sie die Kraft und Entschlossenheit haben wird, in diesem gesellschaftlichen Wandel durch kluge, vorausschauende Politik den Weg nach vorn zu weisen und ihnen die Angst vor Veränderungen zu nehmen.
Wir können stolz auf das bisher Erreichte sein: Die Steuern wurden gesenkt und das Kindergeld erhöht. Verstärkte Investitionen in Wissenschaft und Forschung verbessern die deutsche Wettbewerbssituation. Die Neuverschuldung des Bundes wird konsequent zurückgeführt, der Ausstieg aus der Kernenergie ist vereinbart und festgeschrieben. Die Zahl der Studenten wird durch die BAföG-Reform wieder ansteigen. Die Rentenreform wird einen fairen Ausgleich zwischen den Generationen sicherstellen, die Altersversorgung langfristig stabilisieren und durch den Aufbau einer kapitalgedeckten Altersvorsorge modernisieren. Die Senkung der immer noch zu hohen Arbeitslosigkeit bleibt unser Ziel. Die Entwicklung einer neuen Agrarpolitik, sowie die Verbesserung des Verbraucherschutzes sind auf den Weg gebracht. Die Hilfen für die neuen Länder werden auf hohem Niveau weitergeführt und die Verkehrsinfrastruktur weiter ausgebaut. Energieeinsparung und Verwendung umweltfreundlicher Energieträger werden verstärkt gefördert, Umweltschutz und Familienpolitik weiterentwickelt. Im Sinne der Weltoffenheit unseres Landes wird die Zuwanderung neu geregelt. Mit der Novellierung der Zivilprozessordnung soll eine transparente und bürgernahe Rechtspflege geschaffen werden.
Den neuen Herausforderungen einer veränderten Weltlage werden wir uns stellen und unserer Verantwortung in der Koalition zur Verteidigung des zivilen Zusammenlebens besonnen gerecht werden.
Zur Verwirklichung unserer politischen Ziele ist die Mitarbeit und das Engagement der vielen Mitglieder notwendig. Auch unsere Partei, die in ihrer fast 140-jährigen Geschichte die Entwicklung Deutschlands wesentlich mitgeprägt hat, muss sich dem gesellschaftlichen Wandel stellen, sie muss durch Öffnung und Reform der Parteiorganisation Antworten auf die veränderten Lebenswelten der Menschen geben. Wir müssen wieder mehr junge Menschen für unsere politischen Ziele gewinnen und deutlich machen, dass für eine funktionierende Demokratie das Engagement in Parteien unverzichtbar ist.
Ich bin zuversichtlich, dass es uns zusammen gelingt, die anstehenden Aufgaben zu bewältigen und bitte Euch um Eure tatkräftige Unterstützung. Dem SPD-Ortsverein Gerlingen wünsche ich in diesem Sinne auch weiterhin viel Erfolg.
Euer
Gerhard Schröder
Die Frühindustrialisierung und das Bevölkerungswachstum lösen in den Staaten des Deutschen Bundes Massenverelendung und tiefe Strukturveränderungen der Wirtschaft aus. Noch widerstehen die Regierungen dem Verlangen des Volkes nach nationaler Einheit und Demokratie. Oppositionelle Bestrebungen werden scharf unterdrückt. Kurz vor und in der bürgerlich-demokratischen Revolution von 1848/49 formieren sich erstmals zwei Strömungen der organisierten Arbeiterbewegung: der recht kleine Bund der Kommunisten unter Führung von Karl Marx und Friedrich Engels vor allem im Westen Preußens sowie die Arbeiterverbrüderung mit annähernd 15.000 Mitgliedern unter der Leitung von Stephan Born vornehmlich in Berlin, Sachsen und in Teilen Nord- und Süddeutschlands. Erste Gewerkschaften entstehen. Die Revolution scheitert, und die Anfünge der organisierten Arbeiterbewegung werden unterdrückt.
Während zwischen Revolution und Reichsgründung die Industrialisierung ungemein an Fahrt gewinnt, liberalisiert sich das politische Klima nach einem Thronwechsel in Preußen. Ferdinand Lassalle gründet 1863 in Leipzig den "Allgemeinen deutschen Arbeiterverein", der sich auf dem Gothaer Kongress 1875 mit der 1869 von August Bebel und Wilhelm Liebknecht in Eisenach gegründeten "Sozialdemokratischen Arbeiterpartei" zur "Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands" vereinigt. Zum Teil eigenständig, zum Teil durch die Anstöße dieser Parteibildung, formiert sich die deutsche Gewerkschaftsbewegung in Berufsverbänden vornehmlich in der zweiten Hälfte der 1860er Jahre.
Die Gründung des Deutschen Reichs nach dem Krieg gegen Frankreich, unter Führung Bismarcks und Preußens, führt zu einem starken Wirtschaftsboom, in dem die Gewerkschaftsbewegung belebt wird. Diese und die Arbeiterparteien erleiden fortan zum Teil koordinierte Unterdrückungsmaßnahmen durch die konservative Reichsleitung, die Regierungen der Bundesstaaten und weite Kreise der Unternehmerschaft. Nach zwei Attentaten auf Kaiser Wilhelm I., mit denen Sozialdemokraten nichts zu tun hatten, bringt Bismarck 1878 das Sozialistengesetz im Reichstag durch. Mit ganz wenigen Ausnahmen - die Reichstagsfraktion besteht weiter - werden alle sozialistischen und freigewerkschaftlichen Bestrebungen verboten. Sozialdemokraten werden zu "vaterlandslosen Gesellen" erklärt, das vertieft die Spaltung der Gesellschaft im Kaiserreich.
Durch die Industrialisierung nimmt der Anteil der Arbeiterschaft an der Erwerbsbevölkerung im Deutschen Reich rasch zu. Trotz des Sozialistengesetzes bleibt die Sozialdemokratie eine politische Bewegung, die Unterstützung bei der arbeitenden Bevölkerung findet. Als das Sozialistengesetz nicht wieder verlängert wird, erreicht die SPD - so heißt sie seit 1890 - bei den Reichstagswahlen 1890 mit 19,7 Prozent der Stimmen den höchsten Wähleranteil; in Gerlingen erhält die SPD 16,6 Prozent. Sie gewinnt fortan durchgängig an Wählerstimmen hinzu, steht 1912 bei 34,8 Prozent und bildet nun auch die stärkste Fraktion im Reichstag. Die Gewerkschaften, deren Entwicklung in der Zeit des Kaiserreichs eng mit der SPD verbunden ist, formieren sich 1890 neu und erzielen seit 1895 ungeheure Mitgliederzuwächse.
Auf dem Erfurter Parteitag 1891 wendet sich die SPD eindeutig hin zu marxistischen Annahmen und Überzeugungen. Das "Erfurter Programm" lehnt sich in seinem theoretischen Teil an die Gesellschaftsanalyse von Marx und Engels an und fordert in seinem praktischen Teil unverzügliche, tiefgreifende Reformen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Mit Veröffentlichungen von Eduard Bernstein, Karl Kautsky, Rosa Luxemburg und anderen begannen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts scharfe interne Auseinandersetzungen über die theoretischen Grundlagen und den politischen Kurs der Sozialdemokratie. Im Vorfeld der Sozialdemokratie entfaltet sich eine breite Arbeiterkulturbewegung mit zahlreichen Kultur- und Freizeitorganisationen. Vor allem gründen sich eigene Organisationen für die Belange der sozialdemokratischen Frauen und Jugendlichen. Diese Vereine und Verbände verstärken die Bindung der Mitglieder an die Sozialdemokratie. Unter den sozialistischen Parteien, die sich 1889 in Paris zur sogenannten II. Internationale zusammengeschlossen haben, erringt die SPD eine Führungsrolle.
"Am 4. Januar 1892 wurde der sozialdemokratische Ortsverein unter dem Namen "Arbeiterverein Gerlingen" gegründet. Es war ein kleines Häuflein von Arbeitern und Kleingewerbetreibenden, die sich um das rote Banner scharten. Der erste Vorstand war der Zigarrenmacher Johannes Heck, ein kleiner gebeugter Mann, der nebenher auch noch eine hausgewerbliche Bierhefefabrikation betrieb.
Johannes Heck [...] war ein Mann von edlem Charakter und vornehmer Gesinnung, der auch in der Gemeinde in hohem Ansehen gestanden hatte. Den Posten als Kassier versah der Genosse Jakob Kruck. Von Beruf Schuhmacher, bekleidete Kruck noch im Gemeindedienst das Amt des Polizeidieners. Außerdem betrieb er noch einen kleinen Krämerladen. Das Vereinslokal war die Gastwirtschaft zum Fäßle."
(Gottlieb Eisele, Ehrenbürger der Stadt Gerlingen und Träger des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, in seinen Erinnerungen an die ersten Jahrzehnte der Orts-SPD)
Im Jahre 1892 leuchteten in Gerlingen die ersten sechs Erdöllampen als Straßenbeleuchtung. Die fortschrittliche Telegraphenstation, die ihren Sitz im "Gasthaus zum Hirsch" gehabt haben soll, wurde zu einer "Postagentur" erweitert.
Der "Arbeiterverein" von 1892 war, wie sein Name sagt, eine Gründung der "arbeitenden Klasse". Er betrieb gewerkschaftliche und politische Aufklärung, im "Arbeiterbildungsverein" auch allgemeine Fortbildung. Im Jahr 1895 wird das erste Banner des Sozialdemokratischen Vereins geweiht.
1893 zählte der sozialdemokratische Ortsverein 20 Mitglieder und hielt regelmäßige Monatsversammlungen ab.
Die Königliche Regierung verfolgte aufmerksam die zunehmende Aktivität der Sozialdemokratie im Land. Sie sah in ihr eine Gefährdung der bestehenden Ordnung und verlangte von den Kreisregierungen jährliche geheime Berichte. Aus dem Oberamt Leonberg informierte Oberamtmann Krauß das Ministerium des Inneren.
Die "Berichte des Oberamts, betreffend die Thätigkeit der sozialdemokratischen Partei" spiegelten Mutmaßungen, Ängste, Befürchtungen wider. Im Lauf des Jahres 1894 wurde vom Oberamtmann Folgendes berichtet: "Ich habe die Überzeugung gewonnen, dass Gegenagitation notwendig ist, wenn die sozialdemokratischen Lehren nicht immer weiter um sich greifen sollen."
Es wurden weitere Vereine in Gerlingen gegründet, die mit der Arbeiterbewegung zusammenhingen: der "Arbeiter-Turnverein" entstand 1894.
In dem Bericht des Oberamts Leonberg an das Ministerium im Jahr 1898 kommt der Verfasser zum Gedanken: "[...]Wenn der Arbeiterzug, der seit Jahren von hier nach Stuttgart und wieder zurückgeht und welcher der größte und meistbesetzte des ganzen Tages ist, wieder abgeschafft würde, so würden damit die meisten Sozialdemokraten und die sozialdemokratische Gesinnung größtenteils aus dem Bezirk Leonberg verschwinden [...]."
Und Weiteres aus dem Jahr 1899: "[...] Nach der unmaßgeblichen Ansicht des Unterzeichneten dürfte es überhaupt zu wünschen sein, wenn die sozialdemokratische Partei ihren verneinenden, kritisierenden Standpunkt mehr und mehr aufgibt [...]."
1900 hatte Gerlingen 1900 Einwohner, wovon 123 Pendler auswärts zur Arbeit gingen. In 82 Handels- und Gewerbebetrieben fanden Gerlinger Bürger am Ort Arbeit. Im selben Jahr erhielten in Gerlingen alle Straßen Namen.
1902 wurde die Betreuung auch für die jüngeren Kinder ermöglicht: eine Kleinkinderschule (Kindergarten) entstand.
Nachdem "[...] in Eltingen, Gerlingen und Weilimdorf die socialdemokratische Partei an Anhängern gewonnen hat [...]"(Oberamtmann Krauß) wurde 1899 der erste Sozialdemokrat in den Gemeinderat gewählt, Frohnmeister Gottlieb Krauß. Ihm folgte 1903 Zigarrenmacher Johannes Heck, der Gerlinger Ortsvorsitzende. Er fiel durch verschiedene, für die damalige Zeit "revolutionäre" Anträge auf. So beantragte er am 15. März 1906 das Schulgeld abzuschaffen. Gegen zwei Stimmen wurde dieser Antrag abgelehnt, wie einige andere auch.
1903 erfolgte der Bau einerWasserleitung.
Im gleichen Jahr gab Regierungsrat Krauß in seinem Bericht aus dem Oberamt Leonberg an die Kreisregierung weiter, dass "der Unterzeichnete jede Sorge in Betreff der socialdemokatischen Partei verloren hat und überzeugt ist, dass es am besten ist, wenn ihr von Seiten der Behörden wenigst möglich Beachtung geschenkt wird. Gegen sie ergriffene polizeiliche Maßregeln oder gar Ausnahmegesetze hätten nur die Wirkung, dass diese Partei gestärkt und die Zahl ihrer Mitglieder vermehrt würde. Die allgemeinen Gesetze genügen vollkommen zu ihrer Bekämpfung."
"Dennoch wurden die Aktivitäten der Arbeiterbewegungen weiterhin kritisch beobachtet:
[...] Im Juli 1904 fand in Weil im Dorf die Fahnenweihe des socialdemokratischen Gesangsvereins statt, die von vielen Gesinnungsgenossen besucht war. Während des Festes sah sich der anwesende Landjäger veranlasst, einen Bettler festzunehmen, wobei die Sozialdemokraten diesem beistanden und sich dem Landjäger widersetzten, so dass dieser von seiner Waffe Gebrauch machen musste. Die Schuldigen erhielten nachher wegen Widersetzung Strafen von 3 Wochen bis 6 Monaten Gefängnis. Wie es scheint, hielten die socialdemokratischen Festteilnehmer den Bettler für einen der Ihrigen. Im allgemeinen ist zu bemerken, dass eben alle sog. Arbeiter der socialdemokratischen Partei angehören und bis auf Weiteres angehören werden. Denn wenn diese sich auch allmählich überzeugen, dass die Hauptlehren der Socialdemokratie sich nicht verwirklichen lassen, so sehen sie eben doch, dass durch ihr Zusammenhalten und ihre Agitationen die anderen Stände und die Regierung veranlasst werden, immer mehr Einrichtungen zu schaffen, welche den Arbeitern zu gut kommen. Und so lange auf diesem Weg noch etwas zu erreichen ist, wird auch die Socialdemokratie bestehen bleiben."
Im Jahr 1905, nach den Reichstagswahlen, "beträgt die Zahl der Anhänger der socialdemokratischen Partei im Bezirk rund 1500, und ist diese Partei im Bezirk so gewachsen durch die Einrichtung der Arbeiterzüge, von welchen jeden Morgen hintereinander 5 sehr große von hier nach Stuttgart gehen. Die Mehrheit der Stimmen wird aber diese Partei im Bezirk Leonberg bei seiner vorherrschend landwirtschaftlichen Bevölkerung nie gewinnen." lautete der Bericht an das Ministerium.
Aus der Sängerabteilung des "Arbeitervereins" löste sich 1906 der Gesangverein "Vorwärts", dessen Tradition sich in der heutigen "Chorvereinigung" fortsetzt.
Auch in Gerlingen hatte die sozialdemokratische Partei an Stärke gewonnen und "es ist ihr 1906 gelungen [wieder] Mitglieder in den Bürgerausschuss zu bringen. Der Unterzeichnete vermag aber hier durchaus nichts Bedenkliches zu erblicken; er glaubt im Gegenteil, dass es von ganz gutem Einfluss auf die Partei ist, wenn ihre Mitglieder auch bei der Gemeindeverwaltung mitwirken und dabei zeigen müssen, dass sie es auch nicht besser als die andern Parteien machen können." "und sich in den bürgerlichen Kollegien vielfach überzeugen müssen, dass die Lehren der Sozialdemokratie nicht durchführbar sind [...]"(Regierungsrat Krauß 1907)
Um die Jahrhundertwende konnte ein gewählter Ortsvorsteher lebenslang die Gemeinde führen. 1907 wurde dies abgeschafft, der Ortsvorsteher musste sich nach 10 Jahren zur Wiederwahl der Bürgerschaft stellen.
Der technische Fortschritt in unserem Ort ging stetig weiter: Im Jahr 1908 wurde im Rathaus die erste Fernsprechstelle eingerichtet.
Titelseite der "Schwäbischen Tagwacht" vom 17. August 1907.
Obwohl die SPD nach ihrem Programm eine Partei bleibt, die revolutionäre Veränderungen in Wirtschaft und Politik fordert, wirkt sie teilweise in den Kommunen, in manchen Ländern sowie insbesondere mittels ihrer engen Verbindungen zu den Gewerkschaften an konkreten Reformvorhaben mit. Nicht zuletzt unter dem Einfluss der Gewerkschaften entscheidet sie sich bei Ausbruch des von Deutschland maßgeblich mitverursachten Ersten Weltkrieges für die Unterstützung des Reichs in der militärischen Auseinandersetzung. Diejenigen Teile, die diesen "Burgfrieden" nicht mittragen wollen, gründen zunächst den Spartakusbund und, seit 1917, die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD). Anfang 1919 entsteht aus einem lockeren Parlamentsbündnis die Weimarer Koalition, das Regierungsbündnis aus MSPD, Zentrum und Deutscher Demokratischer Partei, aus dem das erste Reichskabinett der Weimarer Republik hervorgeht. Bis zu den Reichstagswahlen im Juni 1920 verfügt die Koalition über eine parlamentarische Dreiviertelmehrheit. Als im Zuge der militärischen Niederlage eine breite Volksbewegung die deutschen Monarchien hinwegfegt, übernehmen die Mehrheits- und die Unabhängige Sozialdemokratie (MSPD, USPD) im "Rat der Volksbeauftragten" die Reichsleitung und führen, von den Mehrheitssozialisten unter Friedrich Ebert vorangetrieben, allgemeine, gleiche Wahlen zu einer deutschen Nationalversammlung durch.
Erstmals gibt es in Deutschland ein Frauenwahlrecht, das die SPD schon im Erfurter Programm 1891 gefordert hatte. Als erste Frau spricht Marie Juchacz 1919 in einem deutschen Parlament. Im Zuge der Revolution musste die Unternehmerseite die Gewerkschaften endlich als Tarifpartner anerkennen. Friedrich Ebert wird Reichspräsident. Die SPD wird zur maßgeblichen politischen Kraft auf dem Boden der Weimarer Verfassung, die sie als demokratische Grundordnung in weiten Bereichen mitgestaltet hat. Am linken Rand der politischen Arbeiterbewegung formiert sich an der Jahreswende 1918/19 die KPD als neue, revolutionäre Kraft. Die KPD wird, indem sie den linken Flügel der Unabhängigen Sozialdemokraten an sich bindet, zur Massenpartei und gerät bald unter den Einfluss des sowjetischen Kommunismus. Die reformorientierten Teile der USPD vereinigen sich 1922 wieder mit der Mehrheitssozialdemokratie. Scheidelinie zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten ist die Frage der Demokratie; die Kommunisten streben eine Diktatur nach sowjetischem Vorbild an.
1914 bis 1919 gehörte Gottlieb Eisele dem Bürgerausschuss an, ehe dieses seit 102 Jahren bestehende Organ aufgelöst wurde. Er beschrieb die Entwicklung vor dem Ersten Weltkrieg in seinen Erinnerungen:
"Den Ausbruch des Ersten Weltkrieges konnte die Sozialistische Internationale trotz der Bemühungen um die Erhaltung des Friedens nicht verhindern. Die Bewilligung der Kriegskredite durch die Sozialdemokratie gab den Anlass zur Parteispaltung. Die Gegner der Kreditbewilligung haben dann eine zweite Partei unter dem Namen "Unabhängige Sozialdemokratische Partei" ins Leben gerufen. Die Parteispaltung ist auch in unserem Ortsverein nicht ohne Rückwirkung geblieben. Auch hier hatte sich eine Gruppe Außenseiter gefunden, die glaubten, die Politik der Gesamtpartei nicht mehr gutheißen zu können."
Mit dem Ende des Weltkrieges 1918 hatte Gerlingen 119 Todesopfer zu beklagen, darunter 31 Genossen aus Gerlingen.
"Bei der Gemeinderatswahl 1919 sind von 16 zu vergebenden Sitzen 9 Mandate unserer Partei zugefallen. In diese Zeit fielen die Förderung des Siedlungswesens in Gerlingen und des gemeinnützigen Wohnungsbaus seitens unserer Partei. Bei diesen Errungenschaften sollen auch die Verdienste gewürdigt werden, die sich unser Genosse Zimmermann dabei erworben hat" berichtete Gottlieb Eisele.
1921 entstand ein weiterer Arbeiterverein, der "Radsportverein" und gegen 1928 erfolgte die Gründung der "Sozialistischen Arbeiterjugend" durch Fritz Heimsch, Träger des Ehrenringes der Stadt Gerlingen und des Bundesverdienstkreuzes.
In die Zeit nach dem ersten Weltkrieg fällt die Erbauung der Turn- und Festhalle (1923), der heutigen Jahnhalle, sowie der Bau der Straßenbahnlinie Feuerbach - Weilimdorf - Gerlingen. Ein Tag vor Silvester 1926 fuhr die Straßenbahn erstmals von Feuerbach nach Gerlingen. Die Gesamtstrecke betrug 9339 Meter, die planmäßige Fahrtdauer 36 Minuten. Für etwa 300 Pendler wurde mit dieser Bahn die Zeit für den Weg zur und von der Arbeit in den Industriezentren auf ein Drittel verkürzt.
In das Jahr 1929 fiel die Bannerweihe eines neuen Banners des Sozialdemokratischen Ortsvereins. "Meine Erinnerungen reichen zurück bis ins Jahr 1929. Damals hatte der sozialdemokratische Ortsverein Gerlingen eine festliche Veranstaltung, nämlich die Bannerweihe. Voller Stolz hatten Frauen und Männer Groschen für Groschen aus ihren kleinen Einkünften zusammengetragen,um endlich ein eigenes Banner zu haben [...]" (Fritz Heimsch).
Unser im Jahr 1895 geweihtes Banner war veraltet und nicht mehr zeitgemäß. Die Partei hatte daher beschlossen, ein neues Symbol in Form einer Standarte anzuschaffen. Die feierliche Einweihung dieser Standarte fand im Sommer des Jahres 1929 statt. Die Standarte trug neben den Jahreszahlen "1891 / 1929" und dem Namen des Ortsvereins die Aufschrift "Großes Werk gedeiht nur durch Einigkeit". (Gottlieb Eisele)
"Die Standarte wurde von den Machthabern des Dritten Reiches geraubt und blieb verschollen. In den Jahren 1931 bis 1933 war die Sozialistische Arbeiterjugend und die SPD in Gerlingen sehr aktiv. Wir zogen große Veranstaltungen und Kundgebungen auf. An einem Samstagabend in den Wochen vor der Reichstagswahl machten wir einen Rundgang durch den Ort und begutachteten, was so alles an Plakaten aufgehängt war. Plötzlich gingen die Lichter aus. Wir sammelten uns bei einer Scheune, dort wo heute die Kreissparkasse steht. Ein mit SA- und SS-Leuten besetzter Ford-Lastwagen kam vorbei. Sie befestigten große Holzschilder, die auf beiden Seiten mit Nazi-Plakaten beklebt waren, an den Straßenlampen. Wir beobachteten sie von respektvoller Entfernung aus und berieten, was wir tun könnten...
Wir organisierten eine Baumstütze. Einige von uns hielten sie fest, und ich kletterte dann immer hinauf und machte die Propagandatafeln ab. Morgens um 4 Uhr war kein einziges Plakat mehr aufgehängt.Wir vergruben zuerst die Tafeln, holten sie einen Tag später wieder heraus und entfernten die aufgeklebten Plakate. Ein Teil der Holzbretter diente bei uns zu Hause als Hasenstall."(Fritz Heimsch)
Die Frühzeit der Weimarer Republik ist von scharfen innenpolitischen Auseinandersetzungen um den Versailler Friedensvertrag und um die Konsolidierung der neuen Machtverhältnisse im Inneren des Reichs geprägt. Mit Hilfe eines Generalstreiks gelingt es im Frühjahr 1920, den reaktionären Kapp-Lüttwitz-Putsch niederzuschlagen. Erst in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre stabilisiert sich das politische System. Die SPD kann, etwa im Bereich des Arbeitsrechts und der Sozialpolitik, wichtige Reformen durchsetzen, die einen modernen Sozialstaat zum Ziel haben. Sie führt die Regierungen in einer Reihe von Bundesstaaten, vor allem Preußen, und wird auch in vielen Großstädten bereits zur wichtigsten gestaltenden politischen Kraft.
Mit dem Hereinbrechen der Weltwirtschaftskrise ab 1929 erstarken die extremen Kräfte in der deutschen Politik. Die Arbeitslosigkeit nimmt ein nie gekanntes Ausmaß an. Begünstigt durch konservative und reaktionäre politische Kreise, die bis weit in das bürgerliche Parteienspektrum hineinreichen, gewinnt die extreme Rechte in der Hitler-Bewegung ungemein an Einfluss. Die anhaltende Spaltung der deutschen politischen Arbeiterbewegung, die sich alltäglich in scharfen Auseinandersetzungen dokumentiert, begünstigt diesen Aufstieg, verursacht ihn aber nicht. Ende Januar 1933 wird Hitler Reichskanzler. Der Terror der Nationalsozialisten gegen Kommunisten und Sozialdemokraten, später auch gegen bürgerliche Kräfte, setzt ein. In der Abstimmung im Reichstag über das Ermächtigungsgesetz, mit dem alle bürgerlichen Parteien Hitler formell zum Diktator machen, bäumt sich die deutsche Sozialdemokratie als einzige politische Kraft gegen diese furchtbare Entwicklung auf.
Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung werden Sozialdemokraten wie auch andere Gegner des Nationalsozialismus verhaftet, misshandelt, ermordet. Führungskräfte der Sozialdemokratie halten als Exil-Parteivorstand (Sopade) zunächst von Prag, später von London aus die Führungsstruktur der Sozialdemokratie aufrecht. Sie versuchen, Kontakt zu halten und, wo das möglich erscheint, Widerstandszirkel zu organisieren. Solche Widerstandsgruppen bilden sich vielfach im Arbeitermilieu, teilweise auch unter dem Einfluss linkssozialistischer Gruppen. Die Sozialdemokraten, die seit den frühen 1920er Jahren energisch gegen die Hitler-Bewegung gekämpft haben, setzen den Kampf fort und versuchen im Prager Manifest von 1934, die demokratischen Kräfte zu bündeln. Trotz Annäherungen gibt es keine Einigung mit den kommunistischen Exil- und Widerstandskräften. Sozialdemokraten und Gewerkschafter wie Julius Leber und Wilhelm Leuschner beteiligen sich an dem gescheiterten Aufstandsversuch vom 20. Juli 1944 und werden von Hitlers Schergen umgebracht.
Im März 1933 wurden aufgrund der politischen Ereignisse die KPD-Gemeinderüte in Gerlingen nicht mehr zu den Sitzungen geladen, die SPD-Gemeinderäte erschienen, so steht es im Protokoll, nicht mehr zur Sitzung. Am 31. März wurde der Gemeinderat aufgelöst. Die SPD wurde bei der Verteilung der Sitze im neuen Gemeinderat nicht berücksichtigt, da - so die offizielle Begründung - ihr Wahlvorschlag wenige Minuten nach Ende der Abgabefrist dem Bürgermeister vorgelegt worden waren.Tatsächlich aber wurde der Vertreter des Ortsvereins im Vorzimmer festgehalten und erst dann eingelassen, als die Zeitfrist abgelaufen war.
Ende 1933 hatte sich die NSDAP in Gerlingen breit gemacht. Sie bestimmte das gesellschaftliche und private Leben der Bürger in Gerlingen mit. Alle Vereine kamen in Schwierigkeiten. Die Vereine der Arbeiterbewegung wurden verboten, andere mussten unter Naziführung. "Ab dem Verbotsjahr 1933 wurden viele unserer Parteifreunde verhaftet. In der näheren Umgebung kamen sie in die KZ's auf dem Heuberg (bei Münsingen) oder in Münsingen selbst."(Fritz Heimsch). 1939 hatte Gerlingen 3669 Einwohner.
"Die 12 Jahre Hitlerdiktatur und die Entfesselung des 2.Weltkrieges mit seinen verheerenden Folgen haben auch unserer Gemeinde harte und tiefe Wunden geschlagen. Neben großen Verlusten an Hab und Gut haben wir den Tod vieler junger Menschen zu beklagen, die sich für ein System opfern mussten, das die brutale Gewalt und den Wahnwitz auf seine Fahnen geschrieben hatte". (Gottlieb Eisele)
224 Gerlinger verloren wegen des Naziwahns ihr Leben. Ihre Gräber liegen auf allen Kriegsschauplätzen zwischen Narvik in Norwegen und El Alamein in Libyen, zwischen der Normandie und Moskau, überall wo gekämpft wurde und wo Gefangenenlager waren.
Im Randgebiet von Gerlingen war zu Kriegszeiten ein Brandfeld errichtet worden, das feindliche Flugzeuge irreleiten sollte. Es war beleuchtet, auch wenn Stuttgart im Dunkeln lag. Zwischen dem 1.10.41 und Januar '45 musste Gerlingen elf Luftangriffe überstehen. Es kamen dabei 13 Gerlinger Bürger ums Leben, 27 Wohnhäuser und 60 Scheunen wurden zerstört. 300 Männer kamen teils erst Jahre nach Kriegsende aus der Gefangenschaft zurück.
"Am 3. November 1945 kam ich aus dem Krieg zurück. Am 10. oder 11. November gründete ich im Gasthaus zum Adler wieder den Ortsverein der SPD". So erinnert sich Fritz Heimsch, der damals 31 Jahre alt war. In seinen Erinnerungen schreibt er weiter: "Ich hatte den Vorsitz bis 1968, also 23 Jahre inne. 1947, als die Not noch sehr groß war und Gerlingen auch schon viele Flüchtlinge aufgenommen hatte, bat ich einige Freunde, darunter auch Frau Lina Knoll, zu mir aufs Rathaus, weil ich der Meinung war, dass es an der Zeit sei, die Arbeiterwohlfahrt wieder zu gründen. An einem Sonntagnachmittag wurde im Gasthaus Lamm der Ortsausschuss der Arbeiterwohlfahrt gegründet. Etwa 60 oder 65 Frauen und Männer waren bei der Gründung anwesend. Allerdings waren auch einige dabei, die glaubten, sie würden etwas bekommen an Stelle etwas geben zu müssen, nämlich ihre Kraft und ihre Liebe, um anderen zu helfen. Zum ersten Vorsitzenden wurde Wilhelm Knecht gewählt."
Bereits wenige Tage später lud Fritz Heimsch sein väterliches Vorbild Ministerialrat Erhard Schneckenburger zu einer politischen Versammlung in die Turnhalle in Gerlingen ein. Wie wichtig damals neben dem politischen Interesse die Grundbedürfnisse der Menschen waren, beweist die Anzeige in den amtlichen Bekanntmachungen der Gemeinde Gerlingen: "Die Halle ist beheizt!" Mit diesen Worten wurde die Gerlinger Bevölkerung an einem Samstagabend kurz vor Weihnachten eingeladen.
Bei der ersten Gemeinderatswahl nach dem Krieg wurden die Sozialdemokraten Gottlieb Eisele, Karl Kurz und Ernst Schweizer auf einem gemeinsamen SPD-KPD Wahlvorschlag gewählt. Bei der Wahl zur verfassunggebenden Landesversammlung im Juni 1946 errang die SPD mit 584 Stimmen (35,9%) das beste Ergebnis aller Parteien, ebenso bei der Landtagswahl im November mit 725 Stimmen (39,3%!).
Auch bei den nächsten Gemeinderatswahlen gewann die SPD 3 von 12 Gemeinderatsmandaten. Bei den gleichzeitig stattfindenden Kreistagswahlen wurde Fritz Heimsch mit hoher Stimmenzahl in den Kreistag und dann in den Kreisrat des Landkreises Leonberg gewählt. Kurz darauf wurde er Fraktionsvorsitzender und Vorsitzender des SPD-Kreisvereins. An diese Zeit erinnert er sich so: "Eine schöne Zeit erlebte ich als Kreisvorsitzender beim Aufbau des SPD-Landesausschusses von Württemberg, als ich an den Ausschusssitzungen teilnahm. Ich erinnere mich noch genau an eine Sitzung im Gasthaus zur Krone in Degerloch. Es waren Persönlichkeiten wie der damalige Landtagspräsident Keil da. Er trug wie immer einen weißen Kragen mit den Ecken und feierliche schwarze Kleidung. Es waren der "Filderheiland" und Landtagsabgeordnete Albert Pflüger da, der spätere Innenminister Fritz Ulrich, ferner Max Denker, Rudolf Gehring, Alex Möller und viele andere. Die Probleme, die damals besprochen wurden, waren Fragen der Versorgung der Bevölkerung mit Brennmaterial, Textilien usw., insbesondere war das Problem der Unterbringung der Flüchtlinge und deren Versorgung mit Kleidung und Nahrung zu lösen."
Über die ersten Kreistagswahlen schreibt Fritz Heimsch: "Als Kreisvorsitzender hatte ich auch die ersten großen Kreistagswahlen auszurichten. Weder ich noch andere hatten ein Auto. Eines Tages brachte man mir zirka 20.000 Flugblätter. Ich besass nur ein altes Fahrrad mit einer Batterietaschenlampe als Beleuchtung. Wenn ich abends gegen 19 Uhr von der Arbeit nach Hause kam, aß ich nur schnell eine Kleinigkeit, dann packte ich einen Teil der Flugblätter auf mein Fahrrad, fuhr los ins Hinteramt nach Weissach, Wimsheim, Merklingen, Weil der Stadt und so weiter. Da es immer spät in der Nacht war, legte ich die Flugblätter einfach vor dem Haus eines Genossen ab und legte einen Zettel dazu, der die Bitte enthielt, die Flugblätter zu verteilen. Frühmorgens kam ich heim, und nach wenigen Stunden Schlaf ging es wieder zur Arbeit."
An einem Samstag hatte er zwei Versammlungen, am Sonntag drei durchzuführen. Er war todmüde und hatte keinen roten Heller mehr. Auf der Toilette des Gasthofes trank er aus der Not heraus Leitungswasser. Bauern, die ihn dabei beobachtet hatten, flüsterten im Saal: "Des isch der, wo drauße Wasser dronke hot. Des müsset arme Leut sei."
"Während meiner Rede rief ich dem Wirt zu, er möge mir doch ein Glas Wasser ans Rednerpult bringen, aber keinen Sprudel, sondern Hahnenwasser," so Fritz Heimsch weiter in seinen Erinnerungen, "denn einen Sprudel hätte ich ja nicht bezahlen können."
Die nach heutigen Maßstäben unglaubliche Opferbereitschaft für die Partei beschreibt Fritz Heimsch, Ehrenvorsitzender des Ortsvereins Gerlingen so: "Wir verdienten damals ja nicht viel, und die Ausgaben für die Partei mussten wir immer selbst vorschießen. Dann kam Ostern, und ich hatte kein Geld, um meinen Kindern ein Ostergeschenk kaufen zu können - das ganze Geld war für die Versammlungen drauf gegangen. Ich musste in den meisten Orten den Büttel bezahlen, der die Versammlungen ausschellte, und die Wirtsfrau, die die Plakate anklebte. Also ging ich zu Max Denker, dem alten und neuen Landessekretär, und bat ihn, mir wenigstens einen Teil meiner Auslagen zu ersetzen, damit ich meinen Kindern ein Ostergeschenk kaufen könne. Er erklärte jedoch kategorisch, dass kein Geld in der Kasse sei. Das waren "fröhliche Ostern"! [...] Damals war der Einsatz der ganzen Person erforderlich, so wie er auch heute erforderlich ist und morgen erforderlich sein wird, wenn man als sozialdemokratischer Funktionär seine Pflicht erfüllen will!"
Die Zerstörung Deutschlands durch die nationalsozialistische Diktatur führt am 8. Mai 1945 in die bedingungslose Kapitulation und in die Aufteilung des Deutschen Reichs in Besatzungszonen. Unter Kurt Schumacher, der eine Vereinigung mit den Kommunisten kategorisch ablehnt, formiert sich in den Westzonen die SPD als eine demokratisch-sozialistische Volkspartei, die eine Öffnung zu den Mittelschichten anstrebt.
In der Ostzone gelingt es der KPD unter Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht mit Unterstützung der sowjetischen Machthaber, die starken sozialdemokratischen Kräfte in ein Parteibündnis zu zwingen (Zwangsvereinigung 1946) und die SED als diktatorische Einheitspartei zu konstituieren. Mehr als fünftausend SPD-Mitglieder werden verhaftet, Tausende müssen flüchten. Kommunisten besetzen die Schlüsselpositionen der neuen Partei, und der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund gerät unter ihre Herrschaft.
In den Westzonen können sich die Gewerkschaften zunächst unter der Aufsicht der Westalliierten neu formieren. Sie überwinden ihre richtungsgewerkschaftliche Spaltung und bilden 1949 in München den Deutschen Gewerkschaftsbund als Einheitsgewerkschaft, die parteipolitisch unabhängig ist, gleichwohl aber in ihren Zielen vielfach mit der Sozialdemokratie übereinstimmt.
1949 entstehen die Bundesrepublik Deutschland und die DDR; am Bonner Grundgesetz, das in den Verfassungsberatungen des Parlamentarischen Rats vorbereitet wurde, haben Sozialdemokraten, allen voran Carlo Schmid, maßgeblich mitgewirkt. Die SPD erreicht im Westen bei den ersten Wahlen zum Deutschen Bundestag 29,2 Prozent der Stimmen. Mit ganz knapper Mehrheit kann die CDU die Führung der jungen Republik übernehmen, während die SPD sich in der Rolle der "konstruktiven Opposition" sieht. Sie wird nach Schumachers Tod 1952 von seinem Nachfolger Erich Ollenhauer geführt, der sich erfolgreich um den innerparteilichen Zusammenhalt von Funktionären und Mitgliedern bemüht, dessen Erfolg bei den Bundestagswahlen aber sehr begrenzt bleibt.
In den fünfziger Jahren wuchs die Gerlinger Bevölkerung auf rund 12.000 an. Das brachte die hiesige SPD zu dem Schluss, man müsse zunächst die Infrastruktur verbessern, Kindergärten, Kindertagheim, Festhalle, Schwimmbad, Schulen, Rathaus, Kläranlage und anderes bauen. Erst dann könne an die Ausweisung weiterer Baugebiete gedacht werden. Wie sich die Themen gleichen und über die Jahrzehnte unverändert blieben! Die Bebauung der Waldsiedlung fand jedoch auch die Zustimmung der SPD. Einstimmig befand der Gemeinderat 1959, dass sieben Hektar Wald bei einer gesamten Waldfläche von 815 Hektar keinen nennenswerten Verlust bedeuteten. Städtebaulich wollte man die Waldsiedlung als Bindeglied zwischen dem Ortsteil Bopser und dem Ortsteil Schillerhöhe sehen und hatte große Pläne bezüglich künftiger Gewerbeansiedlungen. Die geringen Steuereinnahmen wurden beklagt, zumal auch Neubauten zehn Jahre lang steuerfrei waren. Die SPD strebte an, die Wohngebiete Laichle-Gehenbühl enger mit der Stadt zu verbinden und mit einer Schule zu versorgen.
Aus dem Protokoll einer Jahreshauptversammlung ist zu entnehmen, dass nach einer Rede von Gottlieb Eisele zunächst das Lied gesungen wurde "Brüder zur Sonne zur Freiheit", und dann erst die Aussprache erfolgte. Der geringe Mitgliederstand wurde beklagt, zumal um die Jahrhundertwende die Zahl der Mitglieder größer gewesen sei. Am 9. April 1960 war man über eine Gruppe junger Mitglieder so erfreut, dass vier davon sogleich in den erweiterten Vorstand als Beisitzer aufgenommen wurden.
Dass die politisch gesichtslosen Wählervereinigungen hohe Stimmenzahlen gewinnen konnten, war den SPD-Mitgliedern ein Dorn im Auge. Der Gastredner Willy Lausen, früherer Landtagsabgeordneter, befand, "dass es nicht reicht, einen biederen Mann ins Rathaus zu wählen. sondern dass wir Männer (auch Frauen?) brauchen mit politischem Format". Der damalige Pressereferent reimte: "Wer über den Partein sich wähnt mit stolzen Mienen, liegt meist beträchtlich unter ihnen. Trau keinem, der nie die Partei genommen und stets im Trüben ist geschwommen". Fritz Heimsch ergänzte, "dass man über die Einzelinteressen ein waches Auge haben müsse und für die sozialdemokratische Fraktion immer nur das Gemeinwohl im Vordergrund stehe!"
Als Oppositionspartei im Bundestag gewinnt die SPD in den 1950er Jahren immer stärkeren Einfluss in den Städten und Ländern. Außenpolitisch vom Vorrang der Wiedervereinigung geleitet, lehnt sie - obgleich prinzipiell proeuropäisch orientiert - Adenauers Westpolitik ab. Sie bejaht die Römischen Verträge und schwenkt Ende der 50er Jahre auf den Kurs der Westintegration ein, ohne das Ziel der Wiedervereinigung aus den Augen zu verlieren. In der DDR haben am 17. Juni 1953 gegen den Massenaufstand von Arbeitern nur noch sowjetische Panzer die Herrschaft des SED-Regimes gerettet: Der Aufstand wird blutig niedergeschlagen. 1961 vollendet der Mauerbau auch physisch die Spaltung des Landes.
Die SPD verabschiedet 1959 nach einem längeren kontroversen Diskussionsprozess das Godesberger Grundsatzprogramm und öffnet sich damit endgültig zur Volkspartei. Sie gewinnt breite Wählerschichten hinzu, nicht zuletzt aus kirchlich gebundenen Kreisen. Willy Brandt und Herbert Wehner führen die Partei in die Regierungsverantwortung - zunächst ab 1966 im Rahmen einer Großen Koalition mit der CDU, ab 1969 in einer sozial-liberalen Koalition mit der FDP. Demgehen wichtige Veränderungen auf der Ebene der Bundesländer, so 1966 die Übernahme der Regierungsverantwortung in Nordrhein-Westfalen, und 1969 die Wahl des Sozialdemokraten Gustav Heinemann zum Bundespräsidenten voraus. In den meisten Großstädten der Bundesrepublik hat die SPD in den 1950er und 1960er Jahren das Vertrauen der Mehrheit der Wähler in der Kommunalpolitik gewonnen.
Gut organisierte und engagierte Wahlkämpfe waren und sind ein Markenzeichen der SPD. Während aber noch bei einem Landtagswahlkampf in den 50ern vorgeschlagen wurde, auf das Plakatieren zu verzichten und das eingesparte Geld für Spenden zu verwenden, war das fleißige Plakatieren im Landtagswahlkampf 1965 in Gerlingen Ehrensache. Umso weniger verstand deshalb Walter Hack Spaß, als SPD-Plakate abgerissen und zerstört wurden. Er schrieb im Gerlinger Anzeiger: "Dank der Aufmerksamkeit einer Plakat-Streife zum Schutze der SPD-Plakate wurde in der Nacht vom Dienstag auf Mittwoch, kurz vor Mitternacht, ein Plakat-Abreißer auf frischer Tat in der Panoramastraße ertappt und gestellt. Es handelt sich nicht etwa um einen Jugendlichen, sondern um einen verheirateten Mann, der der CDU nahe steht. Wir erwarten nun, dass sich die CDU öffentlich von solchen Leuten distanziert, ihr Missfallen und ihr Bedauern über solche Vorkommnisse ausspricht."
Nachdem das Godesberger Programm 1959 die neue programmatische Grundlage für die SPD wurde, beschäftigten sich auch die Gerlinger Sozialdemokraten mit ihren geistigen und politischen Wurzeln. In einer Mitgliederversammlung zum Thema "Du und Dein Gesellschaftsbild", die der Genosse Müller von der IG-Metall mit der damals beeindruckenden Technik einer Tonbildschau einleitete, kamen die Anwesenden zum Ergebnis, dass in der gegenwärtigen Gesellschaft von einem Klassenkampf keine Rede mehr sein könne. Es gäbe heute kein "Oben oder Unten" mehr. Heute könne jeder Einzelne je nach Leistungen und Fähigkeit seinen Platz in der Gesellschaft einnehmen. Die Arbeiterschaft sei in der Gesellschaft eingegliedert und fühle sich auch nicht als Arbeiter im wahren Sinne des Wortes. Offenbar beflügelt von der Vorstellung, dass der spürbare wirtschaftliche Aufschwung zum Wohle aller Bevölkerungsschichten sein könne, wurden die Begriffe ",Klassenunterschiede" und "Klassenkampf" aus dem Wortschatz gestrichen. Die Vokabeln vieler Arbeiter wie "Die da oben bestimmen über uns" oder "Geld regiert eben die Welt", wurden mit politischer Lethargie bewertet. Die Gerlinger Sozialdemokraten wünschten sich aber eine politisch interessiertere Bevölkerung, die Flucht ins Private wurde beklagt. Deshalb wollte man die politische Arbeit der SPD stärker in die Öffentlichkeit tragen und moderne Werbemittel nutzen. Genosse Karl Strauß bekleidete sogar die eigens dafür geschaffene Vorstands-Funktion des "Werbeleiters".
Fritz Heimsch stimmte zwar ebenfalls zu, dass die SPD in der letzten Zeit mehr und mehr Volkspartei geworden war und früher eine Kampfpartei gewesen sei, dass sie aber durchaus wieder eine kämpferische Partei werden könne, wenn es die Zeit erfordere. Vor allem den Kampf für eine bessere Bildung, insbesondere auch für Frauen, sah er als Schwerpunkt für die SPD.
Im einhundertjährigen Jubiläumsjahr 1963 der SPD befassten sich die Gerlinger Sozialdemokraten ausführlich mit ihrer Tradition und Geschichte. Man lauschte einer Langspielplatte mit Originaldokumenten und diskutierte anschließend darüber. Das auf Versöhnung ausgerichtete neue außenpolitische Denken von Willy
1964/65 freuten sich die Gerlinger Genossen über den Stimmenzuwachs bei der Landtags- und Bundestagswahl (Wahlkreis Leonberg), insbesondere über das gewonnene Direktmandat des Heimsheimer SPD-Kreisvorsitzenden MdL Gottfried Haase und die Wiederwahl des rührigen MdB Hans Geiger. Bundes- und landespolitische Wahlerfolge beflügelten die kommunalpolitische Arbeit. Bei der dringend notwendigen Verbesserung der Infrastruktur wurde um weiteren Schulhaus- und Sportstättenbau gerungen. Die künftige Schwimmhalle wollten die Gerlinger Sozialdemokraten zwischen den Stadtteilen Siedlung und Gehenbühl sehen. Diese Entscheidung hätte die An- und Verbindung des Stadtteils mit der Ortsmitte verbessert. Bei der Erschließung von weiterem Wohngelände wollte man kurz treten, "weil erfahrungsgemäß Gerlinger Wohnungssuchende wieder nicht zum Zuge kämen", so Fritz Heimsch. Das rasche Wachstum der Stadt sollte gebremst werden. Die SPD-Fraktion im Gemeinderat wollte "zunächst für die finanziell schwächer gestellten Gerlinger Wohnungssuchenden Baugelände durch die Stadt erwerben. Denn die Kinder dieser Familien hätten auch ein Anrecht auf eine gesunde Wohnung."
Die Zeiten sind reif für den Aufbruch aus konservativer Erstarrung und für Reformen und neue Wege der Friedenssicherung und Entspannung. 1969 wird Willy Brandt der erste sozialdemokratische Bundeskanzler der Nachkriegsgeschichte. Er ergänzt die Westintegration durch die "neue Ostpolitik", die durch Verträge mit der Sowjetunion, Polen, der Tschechoslowakei und durch einen Grundlagenvertrag mit der DDR, der durch weitere Verträge ausgefüllt wird, zu einem geregelten Nebeneinander mit den kommunistisch regierten Ländern führt. Die Verträge bewirken Erleichterungen für die Menschen in Deutschland und stärken die Verbindungen zwischen den beiden Teilstaaten. Für diese Politik, an deren Entwicklung auch Egon Bahr einen wichtigen Anteil hat, erhält Willy Brandt am 10. Dezember 1971 den Friedensnobelpreis.
Ende der 1960er Jahre kann sich die SPD zugleich an die Spitze starker Reformkräfte der westdeutschen Gesellschaft setzen, die auch von der Studentenbewegung in Gang gesetzt worden sind. 1972 erringt Willy Brandt einen überzeugenden Wahlsieg. In diesem Jahr gründet sich die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (ASF) und überholte Rechtsnormen, z.B. der § 218, werden reformiert. Die Regierung nimmt das Verlangen nach Gleichberechtigung der Frau ernst und wird Anwalt eines modernen Ehe- und Familienrechts. Nach Enttarnung eines DDR-Spions im Kanzleramt übergibt Willy Brandt 1974 das Amt des Bundeskanzlers an Helmut Schmidt. Unter sozialdemokratischer Führung wird in den 1970er Jahren der Herausforderung des Linksterrorismus begegnet, und es gelingt der sozial-liberalen Regierung, die Folgen der Ölkrise und andere weltwirtschaftliche Turbulenzen zu meistern. Die Politik dieser beiden sozialdemokratischen Kanzler für ein modernes Deutschland mehrt die soziale Gerechtigkeit durch den Ausbau des Sozialstaats und verschafft der Bundesrepublik Deutschland internationales Ansehen. Die Sozialdemokratie führt eine intensive Debatte über Abrüstung, Rüstungspolitik und Friedenssicherung.
Im August 1969 sprach Prof. Dr. Horst Ehmke im Gerlinger Wahlkampf. "Deutschland vor der Entscheidung" titelten die Einladungsplakate und mobilisierten die Stamm- und Wechselwähler. Deutschland sollte eine neue, reformwillige Bundesregierung bekommen. Vor allem der bundespolitische Wahlerfolg von 1969 beflügelte und war Balsam für die Wunden vieler verlorener Wahlen. Bereits ein Jahr später wurde der sozialliberale Reformeifer auch nach Gerlingen getragen. Zum Thema "Bauen-Mieten-Bodenrecht" wusste Peter Conradi bestens Bescheid. Über "Umweltschutz ist Menschenrecht" referierte (vor über 30 Jahren!) der Bietigheimer Landtagsabgeordnete Claus Weyrosta mit politischem Weitblick.
1974 übernahm Dr. Klaus Nagel die Führung des neuen Vorstands. Er blieb bis 1983 Vorsitzender. Der Ortsverein hatte zu jener Zeit ca. 130 Mitglieder, davon knapp 40 Frauen. In den kommenden Jahren stieg die Mitgliederzahl noch auf nahezu 150 an. Ein Thema des Kommunalwahlkampfes 1975 war das Gerlinger Sozialwesen. Die SPD forderte eine Kindertagesstätte, um berufstätige Gerlinger Mütter zu entlasten, ein Altenpflegeheim, die offene Altenpflege, eine Ganztagesstelle für einen Sozialarbeiter und eine Jugendbegegnungsstätte. Die "Jugendhausfrage" sollte die Gerlinger Politik noch weitaus länger beschäftigen.
Ein weiterer Schwerpunkt war die Gerlinger Stadt- und Verkehrsentwicklung. Die SPD forderte schon damals einen besonders sparsamen Umgang mit den vorhandenen Flächen. Mit "Bauchschmerzen", aber als fast unausweichlich betrachtet, plädierte man für einen "Ostaufstieg" vom Bergheimer Weg auf die Schillerhöhe als dritte Verkehrsader auf die Höhe neben Panoramastraße und Bergheimer Steige. Um die Innenstadt zu entlasten, wurde eine moderate Ringstraßenführung sowie die Sperrung der Hasenbergstraße als Fußgängerzone mit Grünflächen verlangt. Um mehr Sicherheit für die Gerlinger Schüler zu gewährleisten, setzte man sich für Über- und Unterführungen im Bereich der Innenstadt ein. Schließlich forderte man, dass die Grenze von 25.000 Einwohnern in Gerlingen im Jahre 1985 auf keinen Fall überschritten sein dürfte. Als Damoklesschwert über der damaligen Kommunalpolitik hing die (verhältnismäßig schlechte) Gerlinger Finanzlage. Deutschland befand sich in einer Rezession, die Energiekrise war gerade überwunden. Der Landesvorsitzende der SPD Erhard Eppler schrieb damals an Klaus Nagel: "Weltwirtschaftliche Veränderungen, die uns noch viele Jahre zu schaffen machen werden, werden der regierenden Partei angelastet. Aus Unsicherheit wird Angst.Und Angst ist das Element, in dem die Dregger und Strauß gedeihen."
Auch der allgemeine Trend in Gerlingen war gegen die SPD. Man mutmaßte, dass die erstmals mit eigener Liste angetretene FDP die Genossen einige Stimmen kostete. Höhepunkt des Wahlkampfes war der Besuch von Erhard Eppler in der vollen Jahnhalle. Äußerst beliebt war damals das jährlich vom Ortsverein veranstaltete Waldfest am Rappenhof. Eine weitere Tradition war der Altennachmittag in der Breitwiesenschule
1976 stand ganz im Zeichen der Landtags- und Bundestagswahlen. Landtagskandidat im Wahlkreis Vaihingen/Enz war der 33jährige Major Manfred Rhode, der im Herdweg wohnte. Der Parlamentarische Staatssekretär Ernst Haar und Herta Däubler-Gmelin unterstützten die Gerlinger Genossen im Wahlkampf. Kandidat für die Bundestagswahl war der Abgeordnete Hans Geiger, der in Gerlingen auch aufgrund seiner Geselligkeit unter den Genossen recht beliebt war. Nachdem Gottlieb Eisele 1975 seinen 90. Geburtstag feierte, wurde ihm 1976 eine ganz besondere Ehrung zuteil: Er trat 1901 in die SPD ein und konnte deshalb auf 75 Jahre Mitgliedschaft zurückblicken. Er war damals Genosse mit der zweitlängsten Mitgliedschaft in ganz Baden-Württemberg. Mit ihm wurden die Genossen Konrad Beck für 65 Jahre und Eugen Hornickel für 50 Jahre Parteizugehörigkeit geehrt.
Ein weiteres "Highlight" im Jahre 1976 war nach einem Besuch des Juso-Landesvorsitzenden Ivo Gönner (heute Oberbürgermeister in Ulm) die erstmalige Gründung einer Juso-AG. Zwischen Jusos und Ortsverein kam es immer wieder zu heftigen Diskussionen, insbesondere aufgrund kritischer und streitbarer Berichte der Juso-AG im Gerlinger Anzeiger. Ein Vorstandsmitglied des Ortsvereins schrieb deshalb an die Juso-AG: "Liebe Genossen! Ich möchte zunächst gestehen, dass mir die Anrede "Genossen" auf Euch bezogen zur Zeit nicht ganz leicht fällt, denn der ehrwürdige Begriff "Genossen" hat etwas mit Solidarität zu tun. Solidarität ist jedoch genau das, was man bei Euch zur Zeit vergeblich sucht [...] Falls Ihr das von mir kritisierte Verhalten nicht mit überwältigender Mehrheit für gut befindet, solltet Ihr Euch überlegen, wie lange Ihr den Schäfern noch nachlaufen wollt, die Euch fette Weiden versprechen, Euch schließlich jedoch in die Wüste führen; dort werdet Ihr Euch eines Tages allein und verlassen wiederfinden."
Am 13.3.1979 wurden verdiente Genossen durch Erhard Eppler geehrt. Bei über 100 anwesenden Gästen wurden Fritz Heimsch, dessen langjährige Weggefährten Ernst Schweizer und Erwin Uberig sowie Fritz Pilz und der leider kurz zuvor verstorbene Eugen Linse für 50 Jahre Mitgliedschaft in der SPD ausgezeichnet. In seiner Dankesrede sprach Fritz Heimsch im Rückblick auf seine bewegte Vergangenheit den berühmten Satz "Sozialdemokrat zu sein bei schönem Wetter ist nicht schwer, bei schlechtem Wetter jedoch sehr..."
Wegen der Verlegung der Gemeinderatswahl 1979 wurde 1980 zum Superwahljahr für die Gerlinger Genossen, denn neben der Wahl für das Gerlinger Stadtparlament fanden auch die Landtags- und weiter die Wahlen zum deutschen Bundestag statt. Unvergessen bleibt der Besuch von Hans Koschnick, dem damaligen Bremer SPD-Bürgermeister.
Nach den Landtagswahlen - SPD-Kandidat war Bernhard Teufel aus Ditzingen - ging es direkt über in den Wahlkampf für die Gemeinderatswahl. Die Gerlinger SPD strebte eine Fraktion mit 6 Sitzen an. Erstmals wurden auch eigene Prospekte der SPD Frauen und der Jusos verteilt. Trotz eines Ergebnisses von 25 Prozent wurde dieses Ziel nicht erreicht.
Für die Bundestagswahlen 1980 wurde seitens des Kreisverbands und des Ortsvereins ein sehr "strapaziöser" Wahlkampf geführt, der sich gegen Franz-Josef Strauß und die Kampagne der CDU/CSU-Opposition wendete, die die sozialliberale Entspannungspolitik angriff. Mit regelmäßigen Infoständen wurden die Bürger direkt angesprochen. Neben dem Standort auf dem Marktplatz gab es Infostände an der damaligen Straßenbahn-Endhaltestelle, vor dem Penny-Markt sowie an der Feldweiche im Gehenbühl. Überaus beliebt war auch die von der Partei herausgegebene "Zeitung am Sonntag", die mit einer Auflage von ca. 2500 Stück von den Genossen am Wochenende in Gerlingen großflächig verteilt wurde. Über 150 Bürger wollten Günter Grass als Vertreter der Wählerinitiative in der Aula erleben. In Gerlingen oft zu Besuch war der SPD-Bundestagsabgeordnete und Staatsminister Gunter Huonker, enger Vertrauter des Bundeskanzlers Helmut Schmidt.
Im Januar 1981 zog der Ortsverein Bilanz über das Vorjahr: 42 für Funktionäre und Mandatsträger verbindliche öffentliche Veranstaltungen, zusätzlich nichtöffentliche und kurzfristige Vorstands- und Fraktionssitzungen. Die Mitgliederzahl nahm trotzdem erstmals seit vielen Jahren ab. Man vermutete, dass die SPD nach elf Jahren Regierungstätigkeit in Bonn weniger Anziehungskraft ausübte als noch Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre. Der Ortsverein hatte damals ca. 120 Mitglieder.
1981 war rechtlich der Weg frei, das Jugendhaus im Bereich des Schulzentrums zu bauen. Festzuhalten bleibt die Ehrung der Genossen Max Otte für 60 und Walter Hack für 50 Jahre Mitgliedschaft in der Partei im März 1981.
Im Sommer 1981 erzeugte das Ausschlussverfahren der Bundespartei gegen Karl-Heinz Hansen Aufsehen, der Helmut Schmidt als "Landesverräter" bezeichnete. Insgesamt 4 Gerlinger Mitglieder traten infolgedessen aus der Partei aus.
Am 22.10.1981 gab der SPD-Ortsverein auf einer Mitgliederversammlung mit 8 Ja- und 7 Nein-Stimmen eine offizielle Erklärung zum "NATO-Doppelbeschluss" ab, in der der Beschluss als "gegenwärtig einzig begehbarer Weg zur Rüstungsbegrenzung" bezeichnet wurde. Nur eine Woche später folgte eine Replik der Juso-AG, die einigen Wirbel verursachte. Im Januar 1982 wurde der Beschluss des Ortsvereins auf der Jahreshauptversammlung dahingehend geändert, dass der NATO-Doppelbeschluss der "einzig realistische Weg zur Rüstungsbegrenzung" sei; der entgegenstehende Antrag der Jusos wurde abgelehnt. Vier Jusos legten daraufhin ihre Ämter im Vorstand nieder.
Die bundespolitische Lage wirkte sich auch auf die Gerlinger SPD aus. Als bis Sommer 1982 weitere Mitglieder ihren Austritt aus der SPD erklärten, wandte sich Dr. Klaus Nagel an den Ortsverein und verlangte "kritische Mitarbeit und Solidarität" als den "besseren Weg, der Partei auch in schwierigen und harten Zeiten zu helfen". Im September und Oktober 1982, nur wenige Wochen später, kam es zur Regierungskrise in Bonn. Durch Hans-Dietrich Genscher, der 1980 noch propagierte, wer FDP wähle, "garantiert, dass Helmut Schmidt Bundeskanzler bleibt", kam es zum Sturz der sozialliberalen Regierung. Im Oktober 1982 dankte der Ortsverein mit einem offiziellen Telegramm dem resignierten Bundeskanzler Helmut Schmidt.
Die Lage in Polen war ebenfalls ein politischer Dauerbrenner im Jahre 1982. Nachdem im Dezember 1981 in Polen das Kriegsrecht ausgerufen wurde und unzählige Gewerkschafter und Oppositionelle unterdrückt wurden, rief die Bundesregierung ihre "Polenhilfe" aus. Auch in Gerlingen wurden auf Initiative und mit Unterstützung der SPD-Fraktion 24.000 DM gesammelt. Claus Weyrosta, stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Landtag, sprach im September über "Die aktuelle Lage in Polen" in Gerlingen. Ein weiterer prominenter Referent 1982 war der SPD-Landesvorsitzende Ulrich Lang.
Trotz tausender in Gerlingen verteilter Flugblätter gegen die "rechtskonservative" Übergangsregierung Kohl/Zimmermann/Genscher gingen die Neuwahlen zum deutschen Bundestag für die SPD mit dem Kanzlerkandidaten Hans-Jochen Vogel auch in Gerlingen verloren.
1982 verlässt die FDP die sozialliberale Koalition und verschafft den Unionsparteien die Mehrheit in Bonn. Die SPD wird auf die Rolle der Opposition zurückgeworfen und beginnt einen anhaltenden Prozess programmatischer Erneuerung, in dem sie ihre Rolle als demokratische Partei in einem hochentwickelten Industrieland neu definiert und Antworten auf die Herausforderungen durch die neuen sozialen Bewegungen formuliert. Als politische Kraft erstarkt sie in den Landtagen und übernimmt Regierungsverantwortung in der Mehrheit der Länder. Obwohl 1987 Willy Brandt den Vorsitz der Partei in die Hände von Hans-Jochen Vogel übergibt, bleibt seine Stimme in der Politik von Gewicht. Sie wird besonders deutlich gehört, als 1989 die Berliner Mauer fällt - "Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört" -, die kommunistischen Diktaturen zusammenbrechen und die beiden deutschen Staaten vereinigt werden können. Noch unter der SED-Diktatur wird in der DDR von mutigen Bürgerrechtlern wie Markus Meckel und Martin Gutzeit die SDP (Sozialdemokratische Partei in der DDR) als Bruderpartei der westdeutschen SPD gegründet; noch vor der deutsch-deutschen Vereinigung verschmelzen 1990 beide Parteien.
Im Mai 1983 wurde der Genosse Friedrich Schaffert 80 Jahre alt und bekam - nach Gottlieb Eisele als zweiter Sozialdemokrat - die Auszeichnung Ehrenbürger der Stadt Gerlingen verliehen.
Am 5.6.1983 wählten die Gerlinger den Nachfolger von Bürgermeister Wilhelm Eberhard. Siegfried Brändle, zuvor als Kandidat für den Landtagswahlkampf 1984 im Gespräch, trat für die SPD an. Der Kontrahent des CDU-Stadtverbands, der amtierende Erste Beigeordnete Albrecht Sellner, gewann mit 58,4 Przent der Stimmen gegenüber 38 Prozent des Genossen Brändle.
Da keine Nachfolger gefunden wurden, kamen die Aktivitäten der Juso-AG im Jahre 1983 zum Erliegen.
Im Wahlkampf zu den Landtagswahlen konnte man als Referenten Rudolf Drexler gewinnen; er sprach im Rathaus über "Aktuelle Arbeitnehmerfragen". Die SPD musste bei dieser Wahl auch in Gerlingen deutliche Verluste hinnehmen. Auch die Gemeinderatswahlen brachten für die Gerlinger Genossen keine positive Wende. Im Gegenteil, man verlor einen Sitz im Rat und musste fortan mit einer nur vierköpfigen Fraktion weiterarbeiten. Siegfried Brändle wurde erstmals mit 6409 Stimmen Gerlinger "Stimmenkönig", was er auch er bei den folgenden drei Wahlen blieb. Die neugegründeten Grünen, die zum ersten Mal mit eigener Liste kandidierten, erreichten auf Anhieb 3 Sitze.
Zum 40. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus im Jahre 1985 legte der Ortsverein am Mahnmal des KZ Blosenberg in Leonberg erstmals einen Kranz zum Gedenken der Opfer des Naziregimes nieder. Eine Tradition der Gerlinger SPD, die auch heute wieder alljährlich gepflegt wird. Kommunalpolitisch standen die 80er Jahre ganz im Zeichen der Innenstadtsanierung und Planung des Stadtbahnbaus. Ein weiterer Dauerbrenner im Sommer 1986 war der Vollzug des sogenannten Kleinbautenerlasses der Landesregierung. Die SPD-Fraktion versuchte damals mit Anträgen und Informationsveranstaltungen unnötige Härten für Gerlinger Bürger zu vermeiden. Höhepunkt für die Gerlinger Genossen im Jahre 1986 war der Besuch Gerhard Schröders im Zuge des Wahlkampfes für die Bundestagswahlen im Januar 1987. Gerhard Schröder war damals noch Oppositionsführer im niedersächsischen Landtag.
1989 wird in Berlin ein neues Grundsatzprogramm verabschiedet, das die Ergebnisse der gesellschaftlichen und innerparteilichen Diskussion zur sozialen und ökologischen Erneuerung der Industriegesellschaft bündelt. Nach einer Phase, in der die Sozialdemokratie ihre Position in den Ländern ausbaut, doch bundespolitisch in der Opposition bleibt, werden "Innovation und Gerechtigkeit" die Leitbegriffe, unter denen die SPD unter der Führung von Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder die Bundestagswahl am 27. September 1998 gewinnt.
Der neue Bundeskanzler Gerhard Schröder und seine Koalition aus Sozialdemokraten und Grünen nehmen sich ein ehrgeiziges Reformprogramm vor, das auf die Korrektur sozialer Ungerechtigkeiten, die Ordnung der zerrütteten Staatsfinanzen, eine umfassende Steuerreform und Investitionen in Zukunftsaufgaben zielt. Nach dem Rücktritt Oskar Lafontaines von allen seinen Ämtern wird Gerhard Schröder im April 1999 auch Parteivorsitzender. Der Berliner Parteitag im Dezember 1999 bestätigt ihn in diesem Amt und wählt Franz Müntefering zum neuen Generalsekretär der Partei. Die SPD ist an der Jahrhundertwende wieder die wichtigste gestaltende politische Kraft in Deutschland.
Unter sozialdemokratischer Führung hat eine umfassende Modernisierung der deutschen Gesellschaft im europäischen Kontext begonnen.
Erstes Ziel des Vorstands zu Beginn der 90er Jahre war das 100jährige Jubiläum der Gerlinger Sozialdemokraten im Jahre 1992. In aufwendiger und mühevoller Arbeit und als Ergebnis wochenlanger Recherchen wurde damals die Festschrift "Hundert Jahre und kein Ende" fertiggestellt. Größte Sorge des Vorstands war zu jener Zeit der deutliche Nachwuchsmangel. Nur ein Jahr später wurde die Mühe der Genossen um die Nachwuchsarbeit belohnt: Unter interessierten Blicken auch der politischen Konkurrenz erfolgte die Neugründung der Juso-AG Gerlingen, mit der man unzählige politisch interessierte und engagierte Gerlinger Jugendliche gewinnen konnte. Allein 6 Jusos waren Kandidaten der im selben Jahr erstellten Liste für die Gemeinderatswahlen. Mit einem Durchschnittsalter von nur 38 Jahren und dem Wahlslogan "Frischer Wind in Gerlingen" neben einem eigenen Prospekt der Jusos ("Ohne uns sieht der Gemeinderat alt aus!") verbuchten die Genossen mit 20,7 Prozent der Wählerstimmen gegenüber 1989 erneut Stimmengewinne. Die Kandidaten der Juso-AG kamen auf Anhieb auf stattliche 8040 Stimmen. Der neue Nachwuchs machte auch in der Folgezeit von sich reden. Bei den Diskussionen um das umstrittene Baugebiet "Körnle" setzte man sich gegen eine Bebauung ein. 1995/96 wurde mit tatkräftiger Mithilfe der Jusos das Jugendcafé "Konfus" im ehemaligen Schul- und Postgebäude in der Ditzinger Straße eröffnet. Ein weiteres Vorzeigeobjekt ist der Gerlinger Jugendgemeinderat, der seinerzeit auch durch engagierte Mitarbeit der Juso-AG geformt wurde.
Zu einem "nicht alltäglichen Ereignis" begrüßte CDU-Bürgermeister Albrecht Sellner am 23.12.1996 alle Anwesenden im voll besetzten Rathaussaal. Das Bundesverdienstkreuz am Bande erhielt der SPD-Stadtrat Siegfried Brändle für seine Verdienste um die Kommunalpolitik, die Vereine, die Partnerschaften und sein soziales Engagement. In der Laudatio des Landrats Dr. Rainer Haas wurde Siegfried Brändle als "schlauer Fuchs" in allen Finanzfragen gelobt, "der weit über die eigentlichen Wählerschichten der SPD hinaus" anerkannt und gewürdigt werde.
Nach der deutschen Wiedervereinigung und dem Fall des Eisernen Vorhangs schuf und pflegte der Ortsverein neben der Kommunalpolitik in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre insbesondere die freundschaftlichen grenzüberschreitenden Beziehungen zu den Genossen der MSZP, der Schwesterpartei in Tata, der ungarischen Partnerstadt Gerlingens. Neben politischen Kontakten sind mehrere Besuche von Delegationen aus Freunden und Genossen der jeweiligen Ortsvereine das bisherige Ergebnis dieser Beziehungen. Unvergessene Momente sind dabei stets die traditionellen Weinproben und geselligen Abende, an der bei guter Stimmung die "Internationale" im ungarisch-deutschen Kanon gesungen wird.
"Das jetzige Steuersystem ist ungerecht und unsozial und wird deshalb von einer künftigen SPD-Regierung reformiert werden!" Mit dieser Forderung eröffnete die Rastatter SPD-Bundestagsabgeordnete und Steuerexpertin Nicolette Kressl den Vorwahlkampf in Gerlingen.
Im Wahlkreis Ludwigsburg stellte der Kreisverband zur Bundestagswahl 1998 mit Holger Amberg aus Ditzingen zum ersten Mal ein Juso-Mitglied auf. Was lag deshalb näher, als die Juso-Bundesvorsitzende Andrea Nahles nach Gerlingen zu holen. Im Foyer der Stadthalle versprühte die wortgewandte Nachwuchspolitikerin aus der Eifel bereits neun Monate vor der Wahl die Gewissheit, dass Deutschland "reif für den Wechsel" sei. An einem heißen Sommerabend überzeugte Professor Dr. Ernst-Ulrich von Weizsäcker etwa 120 Besucher im Rathaussaal, dass das Zusammenfinden von Ökologie und Ökonomie einen Regierungswechsel erfordert.